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nach.gedacht

Der Ort kath. Akademien: zwischen Demokratie als Lebensform und Nachfolgepraxis

Dr. Johannes Sabel

In der Akademie Franz Hitze Haus diskutieren wir aktuell intensiv die Aufgabe von katholischen Akademien. Dabei ist eine der Thesen, die formuliert wurden: „Eine Demokratie, die sich der Bedürftigkeit und Verletzlichkeit der von ihr in Anspruch genommenen und von ihr repräsentierten Menschen und Gruppen handlungsleitend bewusst sein möchte, bedarf einer doppelten Erweiterung. Sie bedarf der eigenen Erweiterung von einer formalen Staats- und Machtverteilungsform hin zu einer konkreten Lebensform; dafür bedarf sie einer Erweiterung auf die Auseinandersetzung mit dem, was Christen „Nachfolgepraxis“ nennen.“

Was ist damit gemeint? Und was heißt das für die Aufgabe katholischer Akademien? Unter dem Stichwort „Nachfolge“ geht es – zunächst inhaltsneutral – um das Wissen und die Erfahrung, dass erst eine spezifische Lebenspraxis Überzeugungen bewahrheitet und zugleich sichtbar aufrechterhält. Diese Einsicht gilt auch fundamental für eine Demokratie jenseits ihres „Technikseins“, nämlich als Lebensform. Mit dem Bochumer Religionspädagogen Bernhard Grümme lässt sich Demokratie als Lebensform als eine verinnerlichte Praxis beschreiben, die aus Haltungen, Handlungen, Weltorientierungen, Werten besteht, die sich kontinuierlich in Praxisformen niederschlagen (vgl. Grümme, Öffentliche Politische Theologie. Ein Plädoyer, Freiburg i. Br. 2023, S. 64). Eine an christlicher Nachfolgepraxis geschulte Demokratie als Lebensform weiß um die Notwendigkeit, einen fundamentalen humanen Ethos und seine Verheißungen in Praxis wirksam und sichtbar zu machen; wenn Subjekthaftigkeit, absolute Würde, Gleichheit und Teilhabemöglichkeiten nur institutionell behauptet, aber nicht individuell und konkret gelebt wird, höhlen sich diese menschheitlich-universalen Zielbilder aus. Die Lebensform ist also gerade nicht nur stille Übereinstimmung mit der repräsentativen parlamentarischen Demokratie sowie die Stimmabgabe bei Wahlen, sie ist die lebenspraktische Konkretisierungen der Werte bzw. Versprechen, die eine Demokratie macht. Demokratie würde damit von einem Verfahrensprinzip, das weitgehend auf prozessuale und durch Institutionen garantierte Regeln beruht, zu dem gelebten, sichtbaren Versprechen auf das, was sie zugleich verheißt: die Anerkennung des Anderen als unwiederholbares, verletzliches und bedürftiges Subjekt. Darin wäre diese demokratische Praxis zugleich orientiert auf eine solidarische, gemeinwohlorientierte, gerechte und auf gleiche Teilhabemöglichkeiten zielende Gesellschaft.

Doch in Charakter der Demokratie, Versprechen zu sein auf Subjekthaftigkeit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Teilhabenmöglichkeiten liegt zugleich eine „Leerstelle“ der demokratischen Lebensform. Um diese zu füllen, kann das Erfahrungswissen christlicher Nachfolgepraxis wichtiger Diskussions- und Praxispartner sein. Genau hier können katholische Akademien ihren genuinen Ort und ihre genuine Aufgabe finden: ein Verständigungs- und Aushandlungsort zwischen Demokratie als Lebensform und christlicher Nachfolgepraxis zu sein. Wenn die fundierenden Versprechen der Demokratie derzeit erodieren und Menschen in einer Situation gefühlter und erfahrenen Ohnmacht und Hoffnungslosigkeit stagnieren, liegt dies auch an den geschichtlichen und heutigen Erfahrungen, dass diese Versprechen nicht oder nur selektiv eingelöst sind. Die Nachfolgepraxis des Christentums kann in ihren Beispielen und Versuchen zur Nachfolge zeigen, dass sich im „Tun des Gerechten“ (Dietrich Bonhoeffer) die Hoffnung auf eine Welt, in dem alle Subjekt ihres Lebens sein können, in Handlung ausdrückt. Die nicht „bewiesene“, aber eben praktisch gelebte Hoffnung, die in der Nachfolgepraxis deutlich wird, ist das, was einer Demokratie, die Versprechen auf Lebensmöglichkeiten und Solidarität für alle ist, bedarf, selbst aber nicht erzeugen kann: Sie kann alleine, aus sich heraus nicht kontinuierlich und sichtbar das Versprechen auf Gerechtigkeit und Gleichheit überzeugend und lebendig aufrecht erhalten, wenn nicht konkrete und kollektive Erfahrungen von Gerechtigkeit und Gleichheit, von Subjektsein in absolutem Wahrgenommen- und Angesprochensein gemacht oder zumindest erinnert werden. Der Glaube der Christen ist in diesem Sinne das geradezu „unglaubliche“ und praktische, sichtbare Ernstnehmen genau der Erfahrungszeugnisse, die uns die Evangelien mit Blick auf das Handeln und Wirken Jesu überliefern. „Solcherart versteht sich der Glaube gegenüber Gesellschaft und ihren Konstruktionen als eine […] irritierende und motivierende […]“ (Grümme, ÖPT, S. 217) Hoffnung als Praxis.

Mit dem Format „nach.gedacht“ möchte Sie die Akademie Franz Hitze Haus herzlich zum Mitdenken einladen. Schicken Sie uns gerne Ihre Gedanken oder Rückmeldungen zum Text entweder per Post oder Mail an: nach.gedacht@franz-hitze-haus.de