Dokumentation einer Kooperationstagung der Akademie FRANZ HITZE HAUS mit dem Emmerick-Bund, Dülmen, vom 6.-7. November 2004 in der Akademie Franz Hitze Haus.
Als Anna Katharina Emmerick am 9. Februar 1824 starb, war die Teilnahme an der Beerdigung der Nonne aus Flamschen bei Coesfeld in Westfalen au-ßerordentlich groß. In den Augen der Bevölkerung war eine Heilige gestorben. Über 180 Jahre später, am 3. Oktober 2004, wurde Anna Katharina Emmerick von Papst Johannes Paul II in Rom selig gesprochen. Endlich, könnte man meinen. Tatsächlich stieß ihre Seligsprechung vor allem im Bistum Münster auf große Freude und Anteilnahme. Bischof Reinhard Lettmann erinnerte in seiner Dankespredigt am Allerheiligentag 2004 daran, was Anna Katharina Emmerick exemplarisch verkörpert: Die Fähigkeit, das verborgene Wirken Gottes im eigenen Leben zu erkennen, auch und gerade in dem von ihr erfahrenen Leid.
Doch gleichzeitig und anders als im 19. Jahrhundert ist die "Mystikerin des Münsterlandes" vielen Münsterländern – und nicht nur ihnen – mit dem Verstreichen der Jahrzehnte fremd geworden. Ihre Visionen stoßen oft auf Unverständnis, die Stigmata rufen nicht selten Befremden oder den Verdacht hervor, es mit einer psychisch Kranken zu tun zu haben. Die (ehemalige) Bewunderung für Anna Katharina Emmericks geduldiges Ertragen ihrer vielen Krankheiten wird zudem häufig als Ermunterung zum passiven Hinnehmen jeder Form des Leidens oder gar als Befürwortung einer masochistisch anmutenden Freude am Leid fehlinterpretiert. Nicht zuletzt erschwert die Quellenlage die Beschäftigung mit Anna Katharina Emmerick und schafft zusätzliche Distanz: Aus ihrer eige-nen Feder ist so gut wie nichts überliefert, der Zugang zu ihr ist nur über die Texte ihrer Zeitgenossen möglich, vor allem über das Tagebuch ihres Arztes Dr. Franz Wilhelm Wesener und über die Schriften des Dichters Clemens von Brentano, der knapp sechs Jahre an ihrem Krankenbett verbrachte.
Dieser Spannungsbogen von großer Freude über die Seligsprechung einerseits und in vielen Kreisen verbreitetem Befremden gegenüber Anna Katharina Emmerick andererseits gab den Anlass, zu einer intensiven Beschäftigung mit der neuen Seligen einzuladen, die unter dem Titel "Fremde Lebensspuren: Anna Katharina Emmerick. Eine historische und theologische Spurensuche " am 6. und 7. November 2004 in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster statt-fand. Angesprochen werden sollten vor allem diejenigen, denen Anna Katharina Emmerick ganz oder doch teilweise fremd geblieben war, die jedoch neugierig waren, die neue Selige näher kennen zu lernen und nach neuen Zugängen zu ihr zu suchen. Dass sich dieses Kennenlernen jedoch als ein Prozess gestaltete, zeigten die Vorträge und Diskussionen der Tagung schnell. Denn mag die Auseinandersetzung mit Anna Katharina Emmerick auch manchmal mühsam sein, abgeschlossen ist sie noch lange nicht. Doch sie lohnt sich für Psychologen, Germanisten, Historiker, Theologen und für die in keiner dieser Disziplinen speziell ausgebildeten Interessierten.
Dies ist auch der Grund, warum sich die Akademie Franz Hitze Haus entschlossen hat, die auf der Tagung gehaltenen Vorträge in der vorliegenden Edition zu veröffentlichen. Wenn auch auf der Tagung längst nicht alle Fragen geklärt werden konnten, vielleicht bei einigen Teilnehmern sogar neue entstanden sind, so stellen die Vorträge doch wichtige Beiträge in den Diskussionen um Person und Bedeutung Anna Katharina Emmericks dar. Sie sind Wegweiser bei der Spurensuche.
Dass diese Spurensuche einen sehr unterschiedlichen Charakter annehmen kann, wurde bereits während der Tagung deutlich. Historiker, Germanisten, und Theologen stellen ihre jeweils eigenen Fragen an die Person und das Leben Anna Katharina Emmericks und setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Das wissenschaftliche Interesse an der Emmerick ist zudem ein anderes als das der Gläubigen auf der Suche nach Vorbild und Orientierung. Tagung und Sammelband bemühen sich dennoch, diesen unterschiedlichen Fragestellungen und Interessen Raum zu bieten. Dies geschieht vor allem dadurch, dass die Experten die wichtigsten Ergebnisse ihrer unterschiedlichen wissenschaftlichen Forschungen in einer allgemeinverständlichen Sprache darstellen und keine besonderen Vorkenntnisse zum Verständnis ihrer Vorträge voraussetzen. Hinter diesem Vorgehen steht die Überzeugung, dass eine möglichst breit angelegte und jederzeit diskussionsbereite Herangehensweise an die Auseinandersetzung mit Anna Katharina Emmerick am ehesten der Komplexität ihrer Biographie und ihrer Bedeutung für Kirche, Theologie und andere Wissenschaften heute gerecht wird. Dies bezieht sich gleichermaßen auf die Beiträge der unterschiedlichen akademischen Disziplinen wie auf den vermeintlichen Widerspruch zwischen einer "wissenschaftlichen" und einer "gläubigen" Annäherungsweise an die Mystikerin des Münsterlandes.
edition akademie franz hitze haus; 9
Münster: dialogverlag, 2005
ISBN 3-937961-05-4, Preis: 4,- €
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