Warum so schweigsam? Skepsis und Auferstehungshoffnung

Dr. Johannes Sabel
„Erlöster müssten sie mir aussehen.“ Friedrich Nietzsches Spott gegen die Christ:innen und ihre Selbstdistanzierung vom Kern ihres Glaubens trifft tief – bis heute. Ostern, das Fest der Auferstehung, steht im Zentrum des christlichen Glaubens. Die große Hoffnung, die die Welt verwandeln will. Doch nicht nur zur Zeit Nietzsches wirkt es, als würde sie fast schamhaft verschwiegen. „Ich glaube an die Auferstehung der Toten“ – gemurmelt im Credo, aber noch geglaubt? Gesellschaftlich nahezu unsichtbar, politisch irrelevant. Warum ist das so?
Man kann auf den umfassenden Prozess der Säkularisierung verweisen. Die religiösen Selbstverständlichkeiten sind verschwunden, der Glaube bei weitem kein gemeinsamer Horizont mehr. Doch das erklärt nicht alles. Das Schweigen reicht tiefer. Denn es scheint, dass sich auch aktive Christ:innen mit der Auferstehungshoffnung schwertun. Kann es sein, dass die Privatisierung und Verinnerlichung des Auferstehungsglaubens nicht nur ein Prozess der modernen Individualisierung, sondern zugleich auch eine Art der „Mythologisierung“ ist? Nämlich hin zu der Auffassung, dass es in der christlichen Auferstehungshoffnung zuerst um das individuelle Heil des Einzelnen im Jenseits ginge? Ist dann die Distanz zu dieser Auferstehungshoffnung weniger Zeichen des Unglaubens, sondern Ausdruck einer begründeten – wenn auch eher intuitiven – Skepsis?
In der Moderne hat sich ein Bild verfestigt, das den ursprünglich öffentlichen „Skandal“ und die gesellschaftliche Dimension von Ostern verstellt hat. Die Auferstehung reduziert auf ein individuelles Jenseitsversprechen, eine Art seelisches Fortleben für Fromme. Eine stille Versicherung gegen das eigene Ende. Doch das war nicht der Ursprung. Der Auferstehungsglaube entstand nicht im Innern der Seelen, sondern im Angesicht zerschlagener Hoffnungen auf ein gerechteres, auf ein besseres, auf ein würdigeres Leben, das Jesus verkündete und realisierte.
Die Osterhoffnung basierte auf einer Erfahrung, an die wir heute nicht mehr einfach heranreichen können. Es ist die Erfahrung der Jünger:innen, dass, so wird es überliefert, Jesus Christus leibhaftig auferstanden ist. Die ersten Zeuginnen der Auferstehung sind zutiefst erschüttert und verängstigt. Ihnen ist etwas widerfahren, was absolut neu und unerwartet war. Was wir wissen ist, dass diese Erfahrung schnell öffentlich sichtbar gemacht wurde, in die Öffentlichkeit drängte. Die Jünger:innen trugen das, was sie erlebt hatten, weiter, sie mussten es weitererzählen. Es wurde in der Jesusbewegung weitergegeben und es sollte nach und nach – insbesondere durch Paulus – alle Menschen erreichen. Die Auferstehungserzählung war darin auch kollektive Widerstanderzählung gegen eine Übermacht, die den Tod als Instrument der Herrschaft einsetzt, die römische Besatzungsmacht in Allianz mit den innerjüdischen Gegnern der „Jesusbewegung“, die den Meister ans Kreuz geschlagen hatten. In dieser konkreten politisch-gesellschaftlichen Konstellation im ersten Jahrhundert nach Christus hat die Auferstehungshoffnung also ihren „Sitz im Leben“. Sie war weit weg davon, individuelles Jenseitsversprechen zu sein, sondern hatte eine eminent politische und gemeinschaftliche Dimension: Weil der Tod eben nicht das letzte Wort hat, kann Gerechtigkeit auch den Toten noch widerfahren. Das sprengte die Macht des Todes als Schlussstrich der Sieger.
Eine solche Hoffnung lässt sich nicht ins Private einhegen. Und wenn man es tut, wie es in der modernen Entwicklung des Christentums geschehen ist, merkt man ihr ihre Verzerrung an. Sie bleibt viel zu sperrig, um als individuelles Seelenheil alleine zu bestehen. Und das merken wir.
Wenn wir als Christ:innen die Auferstehungshoffnung ernst nehmen, dann muss sie öffentlich erkennbar sein: Denn das ist ihr Ursprung, ihre unverkennbare Signatur. Sie wird öffentlich, sie meint das Ganze der Welt und die Menschen, die in dieser leben, im Protest gegen die große Selbstverständlichkeit, in der die Geschichte und die in ihr geschehenen Leidenserfahrungen und Lebensabbrüche als abgeschlossen, als erledigt verstanden werden. Die Osterhoffnung ist also nicht etwa eine besonders anspruchsvolle Theorie, und sie ist vielleicht auch nicht zuerst etwas „Geglaubtes“. Sie ist ein Weltverhältnis, das sich der Gleichgültigkeit gegenüber den kleinen und großen Zwangläufigkeiten verweigert: besonders dann, wenn die humanen „Kollateralschäden“ unseres Fortschritts als notwendige Kosten akzeptiert und vergessen werden. Auferstehung heißt, dass Gott die Toten nicht in Ruhe lässt – und unsere Hoffnung besteht genau darin: „Auferstehung heißt: Das letzte Wort ist nicht gesprochen.“