nach.gefragt - Prof. Dr. Christian Bauer
Wie gestaltet sich das Verhältnis von Demokratie und Kirche?
Prof. Dr. Christian Bauer (Universität Münster) beantwortet diese Frage wie folgt:
Kirche ist demokratisch.
Zumindest in ihrer romanischen Wortherkunft. Denn alle Kirchenbegriffe, die sich vom griechischen Wort Ekklesia her ableiten (frz. Église, ital. Chiesa, span. Iglesia), stammen aus dem politischen Feld der griechisch-römischen Antike. In der Stadtgesellschaft der hellenistischen Polis war Ekklesia die Versammlung aller freien männlichen Bürger (also nicht: der Frauen, der Sklaven und der Fremden). Deshalb sprechen Philosophen wie Jacques Derrida auch von einer von Beginn an unfertigen, zu-künftigen Demokratie, die permanent im Kommen ist („Démocratie à venir“). Die christliche Ekklesia überschreitet diese Grenzen der klassischen griechischen Polis im Horizont des jesuanischen Evangeliums: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid ‚einer‘ in Christus Jesus“ (Gal 3,28). Ekklesia in diesem Sinn ist die im Geiste Jesu entgrenzte Bürger:innenversammlung Gottes, zu der alle durch einen Herold („Kḗryx“) aus ihren Häusern (bzw. Hausgemeinden) Herausgerufenen („ek-kalein“) gehören – mehr dazu hier: https://www.youtube.com/watch?v=iwuVue8hdY4&t=416s.
Diese romanische Wortherkunft des Kirchenbegriffs ist nun aber zu dessen germanischer Wortherkunft ins Verhältnis zu setzen (dt. Kirche, engl. Church, niederl. Kerk), die vom griechischen „kyriaké“ ausgeht, was soviel wie „die dem Herrn gehört“ bedeutet. Kirche ist immer beides: Ekklesia und Kyriaké – und im Idealfall bilden beide Begriffe eine kreative Differenz, welche die Überschreitung auf ein schöpferisches Drittes ermöglicht. Für dieses gilt folgender Merksatz des ehemaligen Erfurter Bischofs Hugo Aufderbeck: „Wir sind als Kirche keine Monarchie, denn wir alle sind Schwestern und Brüder; wir sind aber auch keine Demokratie, denn wir alle haben einen Herrn!“
Prof. Dr. Christian Bauer ist Praktischer Theologe und als solcher Professor für Pastoraltheologie an der Universität Münster. Im Sinne einer "theologischen Gegenwartsanalyse" (Karl Rahner) stellt er an unterschiedlichsten und für akademische Theologie mitunter ungewöhnlichen Orten die existenzielle Grundfrage jeder Pastoraltheologie: Wovon leben wir eigentlich und wofür?