nach.gefragt - Gudrun Schlaphorst
Kirche ist untrennbarer Teil der Zivilgesellschaft
- Gedanken einer engagierten Protestantin zum Verhältnis von Kirche und Demokratie
Meine Kirche ist die evangelische Kirche von Westfalen, eine der deutschen Landeskirchen. Ich empfinde es als Privileg, Mitglied einer Kirche zu sein, der demokratische Strukturen zugrunde liegen, und gleichzeitig in einem demokratischen Staat zu leben. Dieses Privileg gibt mir die Verantwortung, mich sowohl in meiner Kirche als auch als Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland für demokratische Werte aktiv einzusetzen. Ich tue dies u.a. als Mitglied im Synodalausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung im Kirchenkreis Münster, als Prädikantin und Presbyterin in meiner Kirchengemeinde und als Mitglied im Stadtrat in der Fraktion der Grünen.
Jeder einzelne Mensch besitzt als Geschöpf und Abbild Gottes eine unantastbare Würde. Die Unantastbarkeit der Menschenwürde steht nicht zuletzt auch im 75. Jahr nach der Verabschiedung des Grundgesetzes im Zentrum unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das Vertreten und die Verbreitung von menschenverachtendem Gedankengut sind mit dem christlichen Menschenbild unvereinbar. Das ist mein Selbstverständnis als Christin und Demokratin.
Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich und es gibt sie nicht umsonst. Gerade erleben wir in Europa, der Welt und auch in Deutschland, dass Freiheit und Demokratie angegriffen werden und wir dafür kämpfen müssen. Daher freue ich mich, dass sich viele Menschen meiner Kirche engagiert für die Demokratie einsetzen und ihre christlichen Werte als Bürger unseres demokratischen Staates aktiv leben und fühle mich in dieser starken Gemeinschaft gut aufgehoben.
Auch in den Regionen des Evangelischen Kirchenkreises Münster ist eine wachsende Zustimmung zu sich immer weiter radikalisierenden, antidemokratischen politischen Kräften festzustellen. Die Kreissynode des Kirchenkreises hat sich in ihrer Sommersynode im Juni 2024 mit dem Bekenntnis der Evangelischen Kirche zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung auseinandergesetzt und sich einstimmig gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung und für die Achtung der Menschenwürde in jeder Hinsicht positioniert. Sie hat Verhaltensweisen beschlossen, wie im Kirchenkreis demokratische Prinzipien sowohl in den kircheneigenen Institutionen als auch in der jeweiligen Gesellschaft vor Ort angewendet werden sollen. Damit positioniert und engagiert sie sich politisch für die Demokratie.
Kirchen werden oft kritisiert, wenn sie sich politisch äußern und engagieren. Aber Kirchen stehen nicht neben, sondern mitten in der Gesellschaft, insofern ist aus meiner Sicht diese Kritik unsinnig. Als Teil einer Zivilgesellschaft, die sich immer mehr fragmentiert und polarisiert, wirken Kirchen stabilisierend, indem sie ihre Werte, Motive und ihre Botschaft sinnstiftend und aktiv mitgestaltend in die politische Ordnung unseres Staates einbringen.
In Kirchengemeinden, Kreis- und Landessynoden werden demokratische Prinzipien gelebt, aber auch die Grenzen des Akzeptierten diskutiert und verteidigt. Kirchen haben den Anspruch, Schutzraum für Schwache und Minderheiten zu sein. Dort sind alle Menschen willkommen, unabhängig von kulturellen und religiösen Milieus, sozialen Zugehörigkeiten, körperlichen Voraussetzungen oder sexueller Orientierung. Gleichzeitig ist es der Anspruch der Kirchen, grundsätzlich für alle gesprächsbereit zu sein, um Menschen für ein christliches Menschenbild und zur Abkehr von menschenverachtenden Meinungen und Positionen zu gewinnen, ohne antidemokratischen Ideologien eine Plattform in der Kirche zu bieten. Daher ist es gut, wenn an diesen Orten immer wieder über Werte und Verhaltensnormen, die mit dem christlichen Menschenbild kompatibel sind - oder auch nicht - gesprochen und gestritten wird.
Das christliche Menschenbild und christliche Werte machen Kirchenmitglieder aber mitnichten immun gegen Autoritarismus und Totalitarismus. Aktuell staunen wir wieder über den Wahlkampf in den USA. Zu Donald Trumps Anhängerschaft zählen v.a. fromme weiße Christen. In Deutschland war die evangelische Kirche nicht gefeit gegen die Gleichschaltung im Dritten Reich und die Übernahme durch die Deutschen Christen. Ich bin froh, dass ich heute lebe, in einem stabilen demokratischen Staat, in dem die Menschen demokratisch sozialisiert sind, in dem schon im Kindergarten partizipative Prinzipien und demokratische Werte eingeübt werden.
Die evangelische Kirche in unserem Land ist grundsätzlich demokratisch organisiert. In Kirchengemeinden werden Presbyterien von den Gemeindemitgliedern gewählt und entsenden aus ihrem Kreis wiederum Mitglieder in die Kreissynoden. Diese wählen dann ihre Vorstände, die Superintendenten und Synodale für die Landessynode. So schreibt es das Kirchenrecht vor und so ist das Selbstbild meiner Kirche.
Dass Wahlen tatsächlich immer nach demokratischen Prinzipien ablaufen, daran muss stets gearbeitet werden. Bei den letzten Presbyteriumswahlen fand in vielen Gemeinden gar keine Wahl mehr statt, weil sich nicht genug Kandidaten zur Wahl gestellt hatten. Für die Wahl des Präses der Landeskirche von Westfalen, die im Herbst ansteht, ist nur ein Kandidat nominiert. Ist das noch eine demokratische Wahl? Auf jeden Fall lohnt es sich, darüber zu streiten und daran zu arbeiten, dem eigenen Anspruch gerecht zu bleiben und nicht der Versuchung zu erliegen, unbequemen Diskussionen aus dem Weg zu gehen und Ausnahmesituationen zur Regel zu erheben.
Zusammenfassend besteht der Beitrag der Kirchen zu einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft für mich in der Unterstützung der demokratischen Resilienz in unserer Gesellschaft: indem sie sich in ihren Einrichtungen und Kirchengemeinden öffentlich für demokratische Grundwerte - auch gegen innere und äußere Widerstände - positionieren und engagieren; indem sie ein wertschätzendes Miteinander in der Gesellschaft mitgestalten; indem sie sich an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Aktionsbündnissen beteiligen und indem sie die durch das christliche Menschenbild gegebenen Werte in ihrem Einflussbereich sichtbar leben und verteidigen - Kirchen mit ihrem christlichen Menschenbild und unsere demokratische Gesellschaft bereichern und stützen sich gegenseitig.
Gudrun Schlaphorst ist Mitglied im Ausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Kirchenkreis Münster sowie Mitglied im Stadtrat ihrer Wahlheimat Olfen für die Grünen. Neben weiteren ehrenamtlichen Tätigkeiten engagiert sie sich zudem als Presbyterin für Kinder und Jugend in der evangelischen Christuskirchengemeinde Olfen.