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nach.gefragt - Dr. Beate Gilles

Dass Demokratie und Kirche einander ergänzen und brauchen, mag auf den ersten Blick nicht ersichtlich sein. Die Kirche hat lange Zeit mit der Demokratie gehadert und sie abgelehnt. Heute versteht sich die katholische Kirche in Deutschland jedoch klar als eine Stütze und eine Verteidigerin unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens. In ihrer Erklärung ‚Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar‘ vom 22. Februar 2024 haben sich die deutschen Bischöfe einstimmig gegen jede Form von Extremismus gewandt. Sie benennen die Würde des Menschen darin nicht nur als „Anker unserer Verfassungsordnung“, sondern heben sie als „Glutkern des christlichen Menschenbildes“ hervor.

Dabei ist die Kirche den demokratischen Gesellschaften und ihren Prinzipien der freiheitlichen Selbstbestimmung zu Dank verpflichtet – denn in einer Gesellschaft mit beispielsweise Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit sieht sich die Kirche immer wieder Fragen an ihre Grundsätze und ihre Strukturen gegenüber. Sich selbst hinterfragen zu müssen fällt niemals leicht. Aber im Zuge dieser kritischen Anfragen, die von außen wie von innen an die verfasste Kirche herangetragen wurden und werden, entwickelt sich Kirche weiter. Gemäß dem Motto ‚semper reformanda‘ entdeckt sie mitunter neu, welche Schätze in ihrer eigenen Tradition stecken: Das Christentum bietet eine Ethik der Freiheit. Die freiheitliche Demokratie beruht auf dem Konsens, dass Menschen sich als gleichwertig anerkennen und sich gegenseitig mit Respekt begegnen. Lange Zeit hat sich die römisch-katholische Kirche mit diesen Freiheitsrechten schwergetan – und dieses Ringen dauert teilweise bis heute an. Aber die Kirche kann sich mit Fug und Recht auf ihre Glaubensgrundsätze berufen, wenn sie heute den für demokratische Gesellschaften so zentralen Satz verkündet: Alle Menschen haben dieselbe unantastbare Würde – im christlichen Verständnis als Kinder Gottes. Darauf aufbauend bietet die katholische Soziallehre mit ihren Grundsätzen und Prinzipien der Personalität, der Solidarität, der Subsidiarität und des Gemeinwohls wichtige Leitlinien für ein funktionierendes gesellschaftliches Miteinander.

Die Kirche ist Teil dieses Miteinanders und gestaltet es ganz praktisch mit. So ist zum Beispiel das ehrenamtliche Engagement bei kirchlich gebundenen Menschen in aller Regel überdurchschnittlich ausgeprägt. Zu diesen ehrenamtlichen Aktivitäten gehört es, Räume der Begegnung zu schaffen und aufrechtzuerhalten – für alle Menschen, unabhängig von Herkunft, Beruf oder parteipolitischen Präferenzen. Dies ist in der heutigen Zeit besonders wichtig, weil der mediale Empörungsgrad hoch ist und viel von gesellschaftlicher Spaltung gesprochen wird.

Sich in die Gesellschaft einzubringen ist dabei keineswegs eine Flucht nach vorne, angesichts zahlreicher Kirchenaustritte. Die Gesellschaft (mit)zugestalten, ist ein wesentlicher Aspekt des christlichen Auftrags. Jesus Christus hat seine Botschaft der Liebe Gottes zu den Menschen durch seine Hinwendung zu den Ausgestoßenen und den Schwächsten der Gesellschaft zum Ausdruck gebracht. In seiner Nachfolge wird dieser Dienst täglich an zahlreichen Orten in ganz Deutschland geleistet, angefangen von der Seelsorge, über die Obdachlosenhilfe bis hin zu politischer Bildungsarbeit lokaler katholischer Initiativen. Damit wird ein elementarer Beitrag zu unserem demokratischen Gemeinwesen geleistet. Denn eine Demokratie beruht auf der Bereitschaft der Menschen, sich aktiv einzubringen und zusammen gestalten zu wollen.

Demokratie und Kirche standen nicht immer, aber stehen glücklicherweise mittlerweile in einem guten und fruchtbaren Verhältnis. Im Vorwort der Lesefibel zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes des Diözesanrats der Katholiken der Erzdiözese München und Freising hat Kardinal Marx jüngst geschrieben: „An den menschenfreundlichen Gott zu glauben heißt, sich für eine menschenfreundliche Welt einzusetzen.“ Dieses Diktum stellt einen Auftrag für uns alle dar und bietet zugleich angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderungen eine hoffnungsvolle Perspektive für die Zukunft.

 

Dr. Beate Gilles ist seit 2021 Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz und Geschäftsführerin des Verbandes der Diözesen Deutschlands.