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nach.gedacht - 80. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler

von Benedict Dahm, Kirchenhistoriker, Fachbereichsleiter Kath.-Soziale Akademie Franz Hitze Haus 

20. Juli 1944. In einer Baracke des Führerhauptquartiers Wolfsschanze findet sich Adolf Hitler zur Lagebesprechung ein. Einer der Teilnehmer ist Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, ausgestattet mit zwei Kilogramm Sprengstoff und dem festen Entschluss, den Diktator zu töten und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu beenden. Stauffenberg gelingt es, eines der zwei Sprengstoffpakete in Hitlers Nähe zu deponieren und den Zeitzünder zu aktivieren. Als um 12:42 Uhr die Bombe detoniert, ist er bereits auf dem Weg nach Berlin, um dort die weiteren Maßnahmen zur Machtübernahme in die Wege zu leiten. Was er nicht weiß: Hitler lebt. Mehrere unvorhergesehene Faktoren haben dazu geführt, dass er das Attentat mit lediglich leichten Verletzungen überstanden hat. Das Unternehmen Walküre, der Plan zum Staatsstreich, wird nur schleppend ausgelöst und verebbt bereits nach wenigen Stunden gänzlich; Stauffenberg wird noch am selben Tag festgenommen und am späten Abend hingerichtet. Der bedeutendste Umsturzversuch des militärischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus ist gescheitert.

Das Attentat vom 20. Juli 1944 gilt rückblickend als der wichtigste Versuch, die Macht des nationalsozialistischen Apparates zu brechen und eine neue politisch-gesellschaftliche Ordnung zu etablieren. Eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung vor allem des letztgenannten Ziels spielte der Kreisauer Kreis, ein Zusammenschluss von Widerständlern, die ihre Bestrebungen vor allem auf den Kollaps des Führerkultes und die zügige Errichtung einer postdiktatorischen Nachkriegsordnung ausrichteten. Die Mitglieder der Gruppe hätten unterschiedlicher kaum sein können: Männer und Frauen aus Adel, Bürgertum und Arbeiterschaft, Katholiken und Protestanten, Kommunisten und Monarchisten, Konservative und Sozialdemokraten. In weniger dramatischen Zeiten wäre wohl kaum eine Zusammenarbeit dieser Leute denkbar gewesen, doch sie alle einte die Entschlossenheit, der Hitler-Diktatur ein baldiges Ende zu bereiten.

Ein näherer Blick auf diese unterschiedlichen Menschen aus dem Widerstand ist gegenwärtig wertvoller denn je. Der Tag, an dem Stauffenbergs Attentat scheiterte, jährt sich heute zum 80. Mal, und zu diesem Zeitpunkt sind die Geschehnisse vom 20. Juli 1944 endgültig den Historikern überantwortet. Vor nunmehr einem halben Jahr starb mit Kurt Salterberg der letzte Augenzeuge des Attentats. Der damals 21-jährige Wehrmachtssoldat war an jenem Tag zum Wachdienst nahe der Baracke eingeteilt, in dem Stauffenberg die Bombe zündete, erlebte die Detonation, sah, wie der verwundete Diktator aus den Trümmern getragen wurde. Später – zu spät – erkannte Salterberg laut eigener Aussage das Verbrechertum des Hitler-Regimes, schwieg lange Zeit, entschloss sich dann jedoch, in Schulen und durch die Beteiligung an TV-Dokumentationen die Erinnerung an jene Epoche wachzuhalten. Im Dezember 2023 starb Salterberg 100-jährig und mit ihm, mehr als 79 Jahre nach den Ereignissen vom 20. Juli 1944, das letzte lebendige Gedächtnis daran.

Unterdessen schrumpft auch die Zahl der erinnerungsfähigen Holocaustüberlebenden zusehends, die Schreckenszeiten des Dritten Reichs entfernen sich schleichend aus der natürlichen Reichweite erhaltener Zeitzeugenschaft, und die Großelterngeneration derer, denen heute das Gedächtnis dieser Jahre überantwortet wird, entstammt zunehmend der Nachkriegsepoche. In diesen Zeiten steht die Erinnerungskultur vor der gewaltigen Herausforderung, sich mit jenen einschneidenden Transformationen produktiv auseinanderzusetzen. Geschichte darf sich auch in Zukunft nicht hinter abstrakten Begriffen verbergen, sondern muss konkret sein. Kollektive Erinnerung ist, um Wirksamkeit entfalten zu können, angewiesen darauf, dass die Gesichter und Geschichten hinter den Begriffen sichtbar bleiben. Wer einmal die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in den Räumlichkeiten des Bendlerblocks besucht, wo sich seinerzeit der militärische Widerstand um Stauffenberg formte, findet dort etwa an einer Wand die zahlreichen Portraits der Hintermänner vom 20. Juli.

Einer von ihnen ist der Münsteraner Paulus van Husen, dessen Geschichte hier nur in groben Federstrichen skizziert werden soll. Als ranghoher Jurist beim Oberkommando der Wehrmacht hatte der überzeugte Katholik van Husen Einfluss auf die Gesetzesentwürfe und Führererlasse. Er nutzte diese Stellung, um die fortschreitende Aushöhlung jeglicher Rechtsstaatlichkeit zu torpedieren, verhinderte etwa einen Gesetzesentwurf Reinhard Heydrichs, der es der Polizei offiziell erlauben sollte, Personen willkürlich als „Asoziale“ zu klassifizieren und sie infolgedessen zu enteignen, zu verhaften oder zu deportieren. Schon früher hatte van Husen Versuche unternommen, auf juristischem Wege die Politik der Nationalsozialisten zu untergraben. In Oberschlesien setzte er sich etwa – wenn auch vergeblich – dafür sein, dass auch Juden unter den Minderheitenschutz des Genfer Vertrages fallen sollten. Einen Eintritt in die NSDAP lehnte er mit Verweis auf seine frühere Mitgliedschaft in der Zentrumspartei immer wieder ab. Paulus van Husen selbst beschrieb in seinem Tagebuch die juristische Arbeit beim Oberkommando der Wehrmacht aufgrund seiner unauffällig ausübbaren Einflussnahme auf Gesetzesentwürfe sogar als „reizvoll“: „Hierbei konnte man dem Löwen fühlbar auf den Schwanz treten, ohne dass das Raubtier leicht merken konnte, wer getreten hat.“1 Bei aller Zerknirschung über seine gleichwohl unzureichenden Mittel, das Unrecht der Nazis zu bekämpfen, sprechen aus den Erinnerungen Paulus van Husens immer wieder auch Humor und ein regelrecht lebensbejahender Schalk.

Im Kreisauer Kreis gehörte van Husen zur katholischen Gruppe um den Jesuiten Augustin Rösch und trug dazu bei, dass Elemente der katholischen Soziallehre wie Subsidiarität und der Wert des Individuums gegenüber einem kollektivistischen Volksbegriff Eingang in die Gestaltungspläne der Gruppe fanden. Van Husen stand derweil auch im engen Austausch mit dem „Löwen von Münster“, Bischof Clemens August Graf von Galen. Mit ihm diskutierte er besonders intensiv über die Frage der Legitimation des Tyrannenmordes auf Grundlage eines katholischen Ethos. Diese Gespräche dürften von großer Bedeutung gewesen sein, als am Abend des 14. Juli 1944 in van Husens Haus am Münsterschen Aasee ein Geheimtreffen des Kreisauer Kreises stattfand. Einer der Teilnehmer war niemand Geringerer als Claus Schenk Graf von Stauffenberg. „Als er fortging“, notierte van Husen in seinem Tagebuch, „wurde der Atem des Schicksals spürbar bei den letzten Worten, die ich von ihm hören sollte: ‚Es bleibt also nichts anderes übrig als ihn umzubringen.‘“2

Von Münster aus reiste Stauffenberg noch in der selben Nacht zur Wolfsschanze, um Hitler zu töten. Weil jedoch auch Heinrich Himmler bei dem Attentat sterben sollte, wurden die Pläne kurzfristig verschoben, ehe sie einige Tage später missglückt in die Geschichte eingehen sollten. Paulus van Husen erwartete daraufhin, festgenommen zu werden, gestand im Sakrament der Beichte sein „Mitwissen, Anstiften und Zustimmen zu der Mordtat“3, blieb jedoch vorerst unentdeckt. Erst am 12. Oktober wurde er verhaftet und bald darauf in das Konzentrationslager Ravensbrück verbracht; es folgten Verhöre und Misshandlungen. Doch Paulus van Husen überlebte. In späteren Jahren gehörte er zu den Begründern der CDU und wurde 1952 der erste Präsident des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen in seiner Heimatstadt Münster. 

Über Paulus van Husen ließe sich noch vieles sagen und schreiben. Der 80. Jahrestag des Attentats vom 20. Juli gibt in jedem Fall Anlass, an Menschen wie ihn zu erinnern. Van Husen war ein Überzeugungstäter, angetrieben von einem beachtlichen Wertekompass, den er insbesondere seiner tiefen katholischen Prägung verdankte. Es ist bedauerlich, dass er selbst in seiner Heimatstadt Münster heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Denn Geschichten wie seine sind es, die die Erinnerung daran, was sich hinter Begriffen wie Widerstand konkret verbirgt, lebendig halten. Durch seine prominente Stellung im kollektiven Gedächtnis gibt das Attentat des Claus Schenk Graf von Stauffenberg Anlass, in diese viel zu unbekannten Seitengassen der Geschichtsschreibung einzubiegen und die Schicksale derer kennenzulernen, die dort anzutreffen sind.

 

1Manfred Lütz/Paulus van Husen: Als der Wagen nicht kam – Eine wahre Geschichte aus dem Widerstand. Herder, 2019, S. 174.

2Ebd., 224. 

3Ebd.